#2 Sind wir schon da?

Jacqueline war glücklich und irgendwie auch nicht. Vor einigen Wochen hatte sie diesen tollen Typen kennengelernt und sich augenblicklich verknallt. Er führte sie zum Essen aus, unternahm tolle Sachen mit ihr und manchmal telefonierten sie stundenlang. Doch anstatt sich entspannt zu fühlen und das alles zu genießen, war Jaqueline getrieben und unruhig. Was war los?
„Wir verstehen uns so wahnsinnig gut und alles ist perfekt. Ich verstehe nicht, auf was er noch wartet“, erzählte sie mir. „Wo bleibt das Ich liebe dich, wann lerne ich endlich seine Familie kennen und wann fragt er mich, ob wir zusammenziehen? Ich habe keine Lust mehr, ständig nur unverbindlich herumzudümpeln, ohne zu wissen, wo die Reise hingeht. Immerhin möchte ich auch einmal Kinder haben und das nicht erst im Rentenalter.“ Kurzum: Wann sind wir endlich da?
„Wie lange trefft ihr euch jetzt schon?“, fragte ich mehr reflektierend als unwissend.
„Vier Wochen sind´s bestimmt schon!“
„Wollt ihr euch nicht erstmal die Zeit nehmen, euch richtig kennenzulernen und herausfinden, ob ihr das Gleiche vom Leben möchtet?“
Als ich Jaqueline so anschaute, fragte ich mich, wieso wir Menschen es in der Liebe ständig so eilig hatten. Ich weiß nicht, wie das bei Männern ist, aber bei Frauen scheinen Beziehungen auf der Überholspur stattzufinden.
Ist es wichtig, schnellstmöglich alles verbindlich zu machen oder brauchen wir in Liebesdingen ein Tempolimit?

Andreas gab sich unglaublich viel Mühe. Er überraschte Jaqueline mit einem süßen Picknick, schickte ihr über den Tag verteilt kleine Lebenszeichen und liebevolle Nachrichten und kochte nach einem anstrengenden Tag für sie. Wenn er sie sah, leuchteten seine Augen und er wurde ein wenig tollpatschig. Er genoss ihre Gesellschaft sehr und man konnte ihm ansehen, wie er sich immer mehr verliebte – langsamer als sie, aber sie waren auf der gleichen Reiseroute.
Während Andreas sich für die Reise allerdings einen Oldtimer ausgesucht hatte und gemütlich spazieren fuhr, war das für Jaqueline absolut inakzeptabel. Er hatte genug Zeit und Geduld im Gepäck, um auch an den schönsten Momenten ihres Kennenlernens zu verweilen, sie voll auszukosten und sich treiben zu lassen. Ihr Navi war auf Ehehafen eingestellt, schnellste Route, Porsche 911, Überholspur, freie Fahrt.

Jede Rast, jeder Zwischenstopp machte sie nervös. Wird er hier abspringen? War sein Navi überhaupt auf das gleiche Ziel eingestellt? Sie glaubte, es müsse etwas bedeuten, wenn er nicht von Meilenstein zu Meilenstein hetzte. Wieso ist der nächste Schritt noch nicht in Sicht?

Je länger es dauerte, desto mehr drückte sie aufs Gaspedal und je mehr Tempo sie aufnahm, desto mehr drückte er auf die Bremse. Subtile Anmerkungen ihrerseits wurden zu spitzen Pfeilen, die sie vor allem gerne in Gesellschaft anderer abschoss.

Irgendwo zwischen „Ich mag dich wirklich gerne“ und „Aus uns könnte etwas werden“ trennten sich ihre Wege. Jeder reiste alleine weiter, jetzt mit etwas schwererem Gepäck und mit einer Erkenntnis: Die Liebe ist zwar wie eine Reise, jedoch geht es nicht bloß darum, anzukommen, sondern sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Es geht nicht nur darum, an allen Etappenzielen vorbeizufliegen, sondern diese Momente eine Weile zu genießen. Vielleicht sogar gerade so lange, dass die Sehnsucht einen weitertreibt. „Wie schön, dass wir das hier zusammen erleben. Wenn wir beide soweit sind, dann fahren wir weiter. Hauptsache wir sind zusammen.“

Dann, auf einmal, hat man es gar nicht mehr eilig, denn dann ist man schon jetzt am Ziel – man ist jetzt schon glücklich.

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