#3: Selbstliebe

Ich habe eine Freundin, die sich drei viertel des Jahres nicht für liebenswert hält und in den restlichen drei Monaten hat sie gerade jemanden kennengelernt.
Frisch verknallt, zählt sie dann all die wunderbaren Seiten an sich auf, die ihre neue Flamme entdeckt hat und sagt „Eigentlich hat er ja gar nicht unrecht. Ich bin ja wirklich ganz gut organisiert, witzig, sportlich, oder jegliches anderes Adjektiv mit positiven Eigenschaften“.
Wenn das erste Beschnuppern und Kennenlernen dann vor den Pforten des „Talks“ steht und es für Phase 2 nicht reicht, sind all die wunderbaren Erkenntnisse passé.
„Was kann an mir nicht stimmen, dass er mich nicht wollte? Warum war ich nicht gut genug?“

Von einem engeren Freund wird sie dann dafür gescholten, dass sie sich von der Beurteilung eines Mannes so abhängig macht. Ihm würde das nie passieren, denn er tut so, als täte er es nicht. Tut es aber trotzdem.
Der Grund warum er sich selten Gedanken über Zuneigung oder Ablehnung einer anderen Person macht, ist, dass er sich schlichtweg von neuen Begegnungen fern hält und so der Gefahr aus dem Weg geht. Während er seine Bindungsangst unter dem Deckmantel der Unabhängigkeit versteckt, rafft sich unsere Freundin vom Boden ihres Liebeskummers wieder auf.
„Manchmal fühlt sich die Liebe an, wie ein endloser Catwalk, den ich in 18 cm hohen High Heels und Meerjungfrauenkleid herunterstolziere und versuche, nicht über meine eigenen Füße zu fallen.“

Und so macht sie es auch dieses Mal. Tapfer läuft sie mit ihren aufgeschlagenen Knien auf den nächsten Preisrichter zu und gibt ihre frisierte Sedcard ab, aus der sie all ihre Ecken und Kanten rausgeschwärzt hat, um dieses Mal hoffentlich nicht abgelehnt zu werden.

Ist Dating die älteste Castingshow der Welt?

Wieso machen wir Menschen unseren Selbstwert immer wieder von der Meinung eines Anderen abhängig? Wieso glauben wir, nur dann Liebe zu verdienen, wenn sich jemand anderes dazu bereit erklärt, sie uns zu geben? Es ist ähnlich wie die Sache mit dem Baum, der einsam und alleine im Wald umfällt. Macht er ein Geräusch, wenn niemand da ist, der es hören kann? Sind wir liebenswert, wenn niemand da ist, um es uns zu attestieren? Ist meine Freundin nicht organisiert, witzig, sportlich oder Ähnliches, wenn niemand da ist, der das erkennt?
Und wie ist das bei uns? Benötigen wir auch den Blick von außen?
Stolzieren wir vielleicht direkt neben ihr auf diesem holprigen Laufsteg.

Wenn Dating schon die alltägliche Castingshow unseres Lebens ist, wollen wir uns dann nicht lieber in den Jurorensessel setzen, eingehüllt in Selbstliebe und all den potentiellen Kandidaten unseres Liebeslebens zurufen: Zeig, was du hast?

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